Liebe Freundinnen und Freunde von ROKPA,
Es gibt gute Nachrichten. Nach fast vier Jahren war es uns möglich, wieder nach China und in die tibetischen Gebiete zu reisen und Projektverantwortliche und alte Freundinnen und Bekannte von ROKPA zu treffen.
Doch kurz nach unserer Rückkehr kam ein erneuter Hilferuf von Trish Swift aus Chitungwiza in Simbabwe. Nach wie vor sind die Lebensmittelpreise so hoch, dass viele Familien ums Überleben kämpfen müssen. Deshalb bat sie uns um Unterstützung für den Einkauf von Essenspaketen, die an 150 Familien verteilt werden sollen. Ein solches Paket enthält Mehl, Öl, Zucker, Soja-Chunks, süße Bohnen und Erdnussbutter in einer Menge, dass sie für ein paar Wochen den Grundnahrungsbedarf einer vierköpfigen Familie deckt und kostet 20 Euro. Diese Hilferufe erreichen uns mehrmals jährlich und damit wir helfen können, brauchen wir Ihre Unterstützung mit Spenden! Bitte machen Sie es möglich, ein, zwei, drei, vier … oder mehr solcher Lebensmittelpakete zu finanzieren!
Nun zur Reise. Erst im März dieses Jahres wurde bekannt, dass wieder Touristenvisa für China beantragt werden können. Und wir haben uns Ende Mai auf den Weg gemacht.
Wie immer begann die Reise in Chengdu, der Hauptstadt von Sichuan. Ob sich wohl viel verändert hatte? Oft schon war ich in dieser Stadt und dennoch kenne ich sie nicht wirklich, ich kenne hauptsächlich das tibetische Viertel im Bezirk Wuhou. Die erste Veränderung war der neue Flughafen: Tianfu ist der neue internationale Flughafen, ca. 50 Kilometer von der Stadt entfernt, d.h. ca. zwei Stunden Autofahrt oder mit der U-Bahn knapp eineinhalb Stunden. Der Flughafen hochmodern, ebenso die U-Bahn, effizient, schnell, sauber. Beeindruckend.
Bereits in Chengdu konnte ich den eigens aus Qamdo angereisten Abt des Klosters Dolma Lhakang treffen und von ihm Informationen über den Stand der Dinge im Kloster von Akong Rinpoche bekommen. Qamdo liegt in der Autonomen Region Tibet und es war mir bisher nie möglich, dorthin zu reisen. Das Wiedersehen mit Abt Shechen Kongtrul Rinpoche war eine große Freude. Inzwischen stellte ich fest, dass meine Tibetischkenntnisse trotz der langen Zeit immer noch vorhanden waren. Kurz berichtet: leider sind in der Zwischenzeit drei der älteren Nonnen und auch ein Mönch verstorben. Drei Nonnen sind in die Gemeinschaft neu eingetreten. Eine gewisse Fluktuation gibt es wohl immer. Es gilt zwar nicht als besonders verdienstvoll, doch aber akzeptabel, wenn jemand nach einer Zeit des Mönch- oder Nonne-Seins sich entschließt, den weiteren Lebensweg in eine andere Richtung zu lenken. Die Nonnen bzw. Mönche sind selbst verantwortlich für ihr Essen und wechseln sich mit dem Kochen unter den ZImmergenossInnen ab. Monatlich bekommen sie vom Kloster 350 Rmb (ca. 50 €) für ihre Lebensmitteleinkäufe. Dabei unterstützt ROKPA das Kloster mit Ihren Spenden.
Chengdu, die Riesenstadt, deren Einwohnerzahl in etwa der Bevölkerung Baden-Württembergs entspricht, wird immer größer. Nicht zuletzt durch den permanenten Zuzug von Tibetern, die sich meist im Stadtteil Wuhuoce ansiedeln. In den vergangenen zwei drei Jahren ist die Zahl der in der Metropole lebenden Tibeter von ehemals 250.000 auf 300.000 angewachsen. Gründe gibt es mehrere. Nicht nur unsereins hat Probleme mit Höhenlagen über 3.000 Metern, sondern auch die Menschen, die dort geboren sind. Insbesondere im Alter leiden sie zunehmend unter Bluthochdruck, Schwindel und Arthritis. Deshalb ist das Klima in Chengdu mit ganz milden Wintern (um 10 °C) für viele begehrt und wer es sich leisten kann, kauft sich dort eine Wohnung bzw. gründet ein Geschäft. Die Anzahl der tibetischen Geschäfte im tibetischen Stadtteil ist meiner Schätzung nach um ein Viertel angewachsen. Auf den ersten Blick erscheint es, als ob die Geschäfte häufig das gleiche Warenangebot hätten, doch beim genaueren Hinsehen, findet man doch sehr viel Unterschiedliches im Angebot. Durch die Straßen bummeln viele Menschen: einerseits Nonnen oder Mönche, aber auch tibetische Laien. Da Chengdu als Hauptstadt von Sichuan über die besten Kliniken der ganzen Provinz verfügt, verbinden die Menschen aus dem Hochland Besuche bei Verwandten, Arztbesuche, Klinikaufenthalte mit notwendigen Einkäufen in den Läden, die eine große Auswahl der Dinge anbieten, die man im tibetischen Hochland schätzt. Vom Mixer für den Buttertee über kostbare Statuen, meist aus Nepal importiert, bis zur Kleidung sowohl für Laien als auch für Mönche und Nonnen in jeweils spezialisierten Läden.
Der Aufenthalt in Chengdu diente einerseits den Gesprächen mit dem Abt von Dolma Lhakang, andererseits der Anpassung an die andere Zeitzone bis wir uns auf den Weg nach Garze machten, dem nächsten Ziel auf 3.600 Metern Höhe. 600 Kilometer weiter und 2.100 Meter höher lag unser Ziel und obwohl uns die Fahrt so lang vorkam, war sie doch zu kurz: wir brauchten einen Tag, um uns einigermaßen an den mangelnden Sauerstoff zu gewöhnen. Kurzatmigkeit, Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit und schlechter Schlaf sind Erscheinungen in der Höhe, denen wir bis zum Ende der Reise mehr oder weniger ausgesetzt waren. Der nächste Tag galt einem Besuch beim früheren ROKPA-Repräsentanten in den tibetischen Gebieten, Lhamdrak Rinpoche, der 18 Jahre in der Schweiz gelebt hatte, bevor er in den 1980er Jahren wieder zurück in seiner Heimat das Nonnenkloster gründete, das ROKPA auch einige Jahre mit Hilfe für die Nahrung der Nonnen unterstützt hat. Den Nonnen geht es gut, sie haben viel Unterstützung durch die Bevölkerung, betreiben jetzt einen kleinen Laden auf dem Klostergelände und man kann sehen, dass die einstige Unterstützung heute nicht mehr nötig ist.
Garze ist nicht nur Name des Städtchens, das sich in den vergangenen Jahren immer weiter zu einer modernen Stadt entwickelt hat, sondern einer ganzen Region. Hier gibt es viele Klöster praktisch aller Schulen des tibetischen Buddhismus. In Garze selbst thront ein riesiges Gelugpa-Kloster am Hügel, während etwa 15 Kilometer entfernt der Geburtsort des 1. Karmapa der Karma Kagyu Schule liegt. Hier steht ein durch Akong Rinpoche und ROKPA finanziertes Museumsgebäude und wiederum nur ein paar Kilometer entfernt steht ein Kloster der Karma Kagyu Schule, wo der vormalige große Lehrmeister Kalu Rinpoche geboren wurde. Auf dem Weg Richtung Derge und dann Richtung Yushu stehen große Klöster und ihre Universität der Sakya Pas und auch das große Kloster Tsog Tschen der Nyingma-Schule. Insgesamt kann man sagen, dass die Gegend um Garze bis heute eine kulturell sehr reiche Gegend ist, so wie in früheren Zeiten.
Von Garze aus fuhren wir dann nach Denkok, auch Lang Thang genannt. Die Straße, inzwischen asphaltiert und gut zu befahren, führt am Kloster Namgyal Ling (Stammkloster des tibetischen Künstlers Sherab Palden Beru, der bis zu seinem Tod in Samye Ling in Schottland lebte) und der zugehörigen Shedra (Klosteruniversität) vorbei in diese kleine Stadt am Yangtse, der hier die natürliche Grenze zur Autonomen Region Tibet bildet. Denkok ist ein Pilgerort für Tara (tibetisch: Drolma), der weiblichen Entsprechung der Verkörperung des Mitgefühls, Avalokiteshvara. Hier ist eine große Anlage, die zu umrunden zur täglichen Praxis der dort lebenden TibeterInnen gehört. Im Zentrum steht ein Tempel mit der Tara-Gottheit. Umgeben ist er von Mauern, die wiederum bestehen aus Steinen, in die Mantras eingraviert sind oder aus Darstellungen des ganzen tibetisch-buddhistischen Pantheons. Mit der Gebetskette und womöglich auch der Gebetsmühle in der anderen Hand gehen sie im Uhrzeigersinn, Gebete murmelnd, um die Anlage herum, treffen dort Freunde und Bekannte, bewegen sich und empfinden es gleichzeitig als spirituelles Verdienst, diese Umrundung von ca. 20 Minuten einmal oder mehrmals täglich zurückzulegen. Immer wieder aufs Neue fasziniert mich dieser Teil der tibetischen Kultur: in vielen Jahrzehnten und über Generationen hat sie sich erhalten. Sie dient sowohl dem geistigen als auch dem körperlichen Wohlbefinden der Menschen.
Am Yangtse-Fluss entlang, durch unterschiedliche Landschaften, Täler und Berge ging es am nächsten Tag weiter nach Yushu, tibetisch Kijegu genannt. Das große Erdbeben im April 2010 hatte die Stadt mehr oder weniger in Schutt und Asche verwandelt. Innerhalb weniger Jahre ist sie neu und sehr modern wieder entstanden, eine moderne chinesische Stadt. Hier trafen wir Chunga Lhamo und ihren Mann Yeshi, der in Zatu die von uns geförderte Arztpraxis betreibt. Chunga Lhamo, einst durch ROKPA zur tibetischen Ärztin ausgebildet, finanziert mit ihrem Gehalt als Schulärztin nach wie vor den Unterhalt der Familie mit ihren vier Kindern, während ihr Mann Yeshi, ebenfalls Arzt der tibetischen Heilkunde, die Praxis betreibt. Diese wurde, wie alle kleinen Praxis während der Covid-Zeit geschlossen, da die Behörden zusätzliche Ansteckungen befürchteten und die Ärzte für Test- und Impfaktionen benötigt wurden. Dennoch blieb Yeshi seiner Arbeit treu, die er vor allem in den Nomadengebieten um Zatu ausführt. Er fährt von Dorf zu Dorf, um dort die verstreut lebenden Nomadenfamilien mit ihren Patienten aufzusuchen, diese zu untersuchen und Medikamente zu verabreichen. Seine medizinische Hilfe gibt er ebenso wie die Medikamente kostenlos an die Patienten, die sich sonst gar keinen Arzt leisten könnten. Das kann er tun, weil ROKPA die Medikamente finanziert! Danke für Ihre Spenden.
Nächste und auch letzte Etappe der Reise war der Bezirk Nangchen mit dem Städtchen Shonda. Hier trafen wir fünf tibetische ÄrztInnen, die seinerzeit in der Yushu-Waisenschule von ROKPA ausgebildet wurden und nun alle am tibetischen Krankenhaus in Shonda angestellt sind, inzwischen in leitenden Stellungen. Palden Tsegyal und Droni haben in Schottland eine zusätzliche Ausbildung in Pflanzenzucht erhalten und sind neben ihrer ärztlichen Tätigkeit auch an der Anpflanzung von Heilpflanzen beschäftigt, ursprünglich initiiert und finanziert durch ROKPA, heute dort staatlich und lokal gefördert. Yangzom arbeitet zusätzlich ehrenamtlich als Botschafterin zu Prävention und Hygiene. An ihren freien Wochenenden reist sie auf Anfrage in Dörfer und zu Klöstern, um Vorträge zu halten. Ihre Zielgruppe sind vor allem Frauen, die sie darüber aufklärt, wie Krankheiten entstehen und wie sie durch die Einhaltung von Hygieneregeln zu vermeiden sind. Sie findet viel Zuspruch und berichtet von langfristigen Erfolgen bei den Frauen, für die sie, als ausgebildete Ärztin ein leuchtendes Beispiel darstellt, was man auch als Frau erreichen kann. Bis heute sind viele Frauen in den abgelegenen Dörfern weit entfernt von Bildung und Gleichberechtigung. Durch große Promiskuität und Unkenntnis dessen, wie HIV übertragen wird, passiert es allzu häufig, dass insbesondere Männer ihre ganze Familie anstecken. Bei ihren Vorträgen verteilt Yangzom Hygenieartikel wie Kondome, Binden, Baumwollunterwäsche, die dankbar angenommen werden. Oft begegnet sie Menschen mit harten Schicksalen, die durch schwere Krankheit alles verlieren: Unterkunft und Arbeit, auch den Zusammenhalt in der Familie. Hier versucht sie zu helfen, wo immer sie kann. Wir von ROKPA wollen sie bei Ihrer Arbeit dabei unterstützen. Von Shonda ging es zurück nach Yushu und von dort per Flugzeug zurück nach Chengdu.
Hier hatte ich am Tag der Abreise noch zwei schöne Begegnungen. Im Cafe eines befreundeten Tibeters verbrachten wir Zeit bis zur Abfahrt zum Flughafen. Da näherte sich mir respektvoll ein junger Mann etwa Anfang Dreißig und stellte sich vor. Er habe gehört, dass ich von ROKPA sei und wolle mir doch erzählen, dass auch er einst ein Stipendiat von ROKPA gewesen sei. Zwischen 2007 und 2010 hat ihm ROKPA ermöglicht in Abba die Mittelschule zu besuchen, die damals noch kostenpflichtig und nicht staatlich gefördert war. Er, Karma Tashi, hat mit Bestnoten das Abitur bestanden und konnte deswegen staatlich unterstützt sogar in Peking studieren! Inzwischen betreibt er ein Online-Unternehmen zur Qualifikation für junge Menschen, die sich in BWL ausbilden möchten, um eigene Unternehmen zu gründen. Welche Freude! Die Saat von ROKPA ist aufgegangen!
Aber damit nicht genug: später am Abend kamen zwei junge Tibeterinnen mit deutlich amerikanisch klingendem Englisch. Wir kamen ins Gespräch und siehe da: Yulha, eine der beiden, war auch ROKPA Stipendiatin für ein paar Jahre, hätte sonst nicht weiter zur Schule gehen können. Und auch sie war so erfolgreich in der Schule, dass sie später sogar ein Stipendium für ein Studium in den USA bekam. Inzwischen setzt sie sich ehrenamtlich für den Erhalt von aussterbenden Sprachen ein.
Ich hoffe, dass ich Ihnen ein paar meiner Eindrücke der letzten Reise nahe bringen konnte. Ich hoffe ebenso, dass Sie uns bei der Unterstützung unserer Projekte „Hilfe für Essenspakete in Simbabwe“, Kloster Dolma Lhakang, medizinische Hilfe in Tibet oder Hilfe für Patienten und Familien in Not unterstützen können.
Freuen Sie sich auf den Rundbrief im Winter, wo es noch ausführlichere Informationen geben wird.
Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Sommer!
Mit den besten Wünschen
Barbara Pfeiffer